29.11.2016
Autor: Thomas Hagemann
Mit dem deutlichen Rückgang des Rechnungszinssatzes für Pensionsverpflichtungen im IFRS- und HGB-Jahresabschluss gerät nun auch der steuerliche Zins stärker ins Blickfeld. Der Zins für den IFRS-Abschluss hat ein Niveau von etwa 1,5 Prozent erreicht, während der HGB-Rechnungszins noch deutlich darüber liegt, da er durch die Durchschnittsbildung deutlich langsamer absinkt. Zum Jahresende ist mit 4,0 Prozent zu rechnen. Demgegenüber liegt der steuerliche Rechnungszins seit Jahrzehnten bei 6,0 Prozent. Das sind immerhin zwei Prozentpunkte mehr als im HGB- und 4,5 Prozentpunkte mehr als im IFRS-Abschluss.
Die Folge dieser Differenz ist, dass Unternehmen Steuern auf Gewinne zahlen müssen, die sie tatsächlich gar nicht erwirtschaftet haben.
Um das zu verdeutlichen, betrachten wir ein Unternehmen, das ohne die Pensionsverpflichtungen einen operativen Gewinn von 100.000 Euro erzielt hätte. Da zusätzlich ein Aufwand in Höhe von 50.000 Euro aus Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen in der Handelsbilanz zu berücksichtigen ist, beträgt das Jahresergebnis nur 50.000 Euro.
Steuerlich sind die Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen aber deutlich niedriger, unter Umständen nur 10.000 Euro, weil hier kein Zinsänderungseffekt einfließt. Auf diese Weise wird aus dem operativen Gewinn von 100.000 Euro ein steuerlicher Gewinn von 90.000 Euro, obwohl das handelsrechtliche Jahresergebnis nur 50.000 Euro beträgt. Es werden also 40.000 Euro versteuert, die überhaupt nicht verdient wurden.
Diese Differenzierung zwischen Steuer- und Handelsbilanz resultiert ausschließlich aus der gesetzlich vorgeschriebenen unterschiedlichen Bewertung der Pensionsrückstellungen. Hätte das Unternehmen seinen Mitarbeitern stattdessen ein höheres Gehalt gezahlt, so wären die Gehaltszahlungen in der Handels- und in der Steuerbilanz in derselben Höhe angesetzt worden.
Die unterschiedliche Bewertung der Pensionsrückstellungen in Steuer- und Handelsbilanz führt also zur Versteuerung von Scheingewinnen.
Der Gesetzgeber hat natürlich einen gewissen Spielraum bei der Festlegung der steuerlichen Vorschriften. Dieser Spielraum ist allerdings nicht beliebig groß.
Eine aktuelle, sehr ausführlich und sorgfältig begründete Studie(1) kommt nun zu dem Ergebnis, dass die Zinstypisierung für die Abzinsung der Pensionsrückstellungen nicht mehr durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Damit verstößt sie gegen das Willkürverbot und somit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Der steuerlich vorgeschriebene Rechnungszins ist mit der andauernden Zinsschmelze und der damit einhergehenden Spreizung zum HGB-Zins in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen. Er kann nicht mehr gerechtfertigt werden.
Frau Professor Hey, die sich in der Studie mit den verfassungsrechtlichen Fragen auseinandergesetzt hat, ist auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums. Daher werden ihre Ausführungen vermutlich nicht ungehört verhallen. Allerdings ist wegen der zu erwartenden Steuerausfälle nicht absehbar, dass der Gesetzgeber aus eigener Initiative aktiv wird. Es ist zu befürchten, dass erst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Abhilfe schafft.
(1) Hey/Steffen: Steuergesetzliche Zinstypisierungen und Niedrigzinsumfeld – insbesondere zur Gleichheitssatzwidrigkeit der Abzinsung von Pensionsrückstellungen gemäß § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG - , ifst-Schrift Nr. 511/2016.