Was bringt die Ampel für die Altersversorgung?

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Thomas Hagemann
Chefaktuar, Mercer Deutschland

 

„Die Ampelkoalition will die bAV stärken. Konkrete Ideen hat sie wohl nicht, doch Vorschläge haben wir genug.“

2. Dezember 2021

Unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ hat die Ampelkoalition am 24.11.2021 ihren Koalitionsvertrag veröffentlicht. Der Titel weckt Erwartungen: Mit der Nachhaltigkeit der Altersversorgung in Deutschland steht es nicht zum Besten, an der Generationengerechtigkeit müssen wir noch arbeiten und Fortschritt ist dringend notwendig. Was sind also die Pläne der Koalition für die Altersversorgung im allgemeinen und die betriebliche Altersversorgung im Speziellen?

Die gesetzliche Rentenversicherung

Die zukünftige Koalition bekennt sich zum Drei-Säulen-System der Altersversorgung in Deutschland legt aber ihren Schwerpunkt eindeutig auf die gesetzliche Rentenversicherung.

Dort soll gehalten werden, was zu halten geht: An der doppelten Haltelinie (Mindestrentenniveau 48 Prozent, Höchstbeitragssatz 20 Prozent) soll ebenso festgehalten werden wie an den derzeitigen Altersgrenzen. Rentenkürzungen soll es nicht geben.

Eine Ausnahme gibt es allerdings: Der Nachholfaktor für die Rentenanpassungen soll wieder aktiviert werden. Dieser Nachholfaktor ist im Zusammenhang mit rechnerischen Rentenkürzungen von Bedeutung. Falls sich beispielsweise durch das Absinken des Einkommens der aktiven Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine rechnerische Rentenkürzung ergibt, wird die zuletzt gezahlte Rente beibehalten. Der Nachholfaktor, derzeit ausgesetzt, führt dann innerhalb gewisser Grenzen zu einer Verrechnung der nicht erfolgten Kürzungen mit den zukünftigen Erhöhungen.

Im Jahr 2021 hätte es rechnerisch tatsächlich eine Rentenkürzung geben müssen. Wird der Nachfolgefaktor rechtzeitig wieder aktiviert, so fällt die Rentenanpassung des nächsten Jahres geringer aus. Es käme dann also nicht zu der Rekorderhöhung der gesetzlichen Renten, über die derzeit schon in der Presse berichtet wird. Das soll der Generationengerechtigkeit dienen.

Daneben soll es Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten geben, die aber nicht genauer erläutert werden. Flexirente (vorgezogene Teilrente mit Hinzuverdienstmöglichkeit) und Rentensplitting (Aufteilung von Rentenanwartschaften unter Paaren) sollen gefördert werden.

Die bedeutsamste Reform liegt aber darin, dass auch für die gesetzliche Altersversorgung teilweise eine Kapitaldeckung hergestellt werden soll. Eine Anschubfinanzierung im Jahr 2022 in Höhe von 10 Milliarden Euro soll aus Haushaltsmitteln finanziert werden. Über die weitere Finanzierung ist noch nichts gesagt. Die FDP hat in ihrem Wahlprogramm ja insbesondere das Ziel geäußert, dass ein Anteil von zwei Prozentpunkten der Rentenversicherungsbeiträge in die Kapitaldeckung fließen soll. Das würde den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugutekommen, weil dieser Teil der Beiträge nicht sofort wieder für die heutigen Rentnerinnen und Rentner ausgegeben wird.

Die betriebliche Altersversorgung

Ganze zwei Sätze widmet der Koalitionsvertrag der betrieblichen Altersversorgung: „Die betriebliche Altersversorgung wollen wir stärken, unter anderem durch die Erlaubnis von Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen. Zusätzlich muss das mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz bereits in der vorletzten Legislaturperiode auf den Weg gebrachte Sozialpartnermodell nun umgesetzt werden.“

Die Erweiterung von Anlagemöglichkeiten wäre zu begrüßen. Allerdings geht aus diesem Satz noch in keiner Weise hervor, welche Durchführungswege und Zusagearten davon betroffen sein sollen. Durch welche anderen Maßnahmen die betriebliche Altersversorgung gestärkt werden könnte, wird völlig offengelassen.

Und dass das Sozialpartnermodell, die reine Beitragszusage, nun umgesetzt werden soll, ist ein frommer Wunsch. Wie der Name schon sagt, sind für die Umsetzung die Sozialpartner erforderlich. Es ist völlig offen, wie die zukünftige Bundesregierung den Abschluss von Tarifverträgen beschleunigen könnte. Und zumindest die SPD legte in ihrem Wahlprogramm Wert darauf, dass Altersversorgung möglichst tarifvertraglich geregelt werden soll, sodass auch hier nicht mit einer Lockerung zu rechnen ist.

Die private Altersvorsorge

Riester ist überholt, es lebe die Deutschlandrente. Zwar taucht der Begriff im Koalitionsvertrag nicht auf, aber gewollt ist ein „Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit“. Daneben sollen auch private Angebote als Alternative zur Riester gesetzlich anerkannt werden. Bereits abgeschlossene Verträge sollen einen Bestandsschutz erhalten.

Die Ausgestaltung dieser neuen privaten Altersvorsorge ist weitgehend offen. Sofern, wie es in der Diskussion der Vergangenheit teilweise gefordert wurde, der Arbeitgeber die Beiträge einsammeln und abführen soll, würden die neuen Angebote die Unternehmen zusätzlich belasten und mittelbar auch die betriebliche Altersversorgung schädigen.

Weitere Ziele

Die Koalition strebt eine EU-Informationsplattform zu Altersvorsorgesystemen, Sozialversicherungsansprüchen, Besteuerung, Portabilität und Arbeitsrecht in den Mitgliedstaaten der EU an. Vermutlich soll es hierbei nur qualitative Informationen gehen. Das derzeit laufende Projekt zur digitalen Rentenübersicht wird im Koalitionsvertrag nicht erwähnt.

Daneben soll die Doppelbesteuerung der Altersversorgung angegangen werden. Der volle Abzug der Rentenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben soll auf 2023 vorgezogen werden. Der steuerpflichtige Rentenanteil soll langsamer steigen, sodass die Vollbesteuerung der Renten bis 2060 aufgeschoben wird.

Was nicht vereinbart wurde

Seit langem werden von verschiedenen Seiten Reformen für die betriebliche Altersversorgung gefordert.

Arbeitsrechtlich wären hier insbesondere die nur sehr begrenzten Eingriffsmöglichkeiten in die betriebliche Altersversorgung zu nennen. Eine Veränderung der noch zu erdienenden Leistungsbestandteile ist sehr schwierig, eine Veränderung der bereits erdienten Leistungsbestandteile praktisch unmöglich. Das hält Unternehmen zum einen davon ab, neue betriebliche Altersversorgung anzubieten. Zum anderen hemmt es die Übertragung auf modernere Versorgungssysteme, wie beispielsweise auch die Übertragung in ein Sozialpartnermodell.

Handelsbilanziell leiden die Unternehmen unter dem permanent sinkenden Rechnungszinssatz. Da die Auswirkungen der Zinsentwicklung im HGB-Abschluss erfolgswirksam zu erfassen sind, wird seit Jahren das Ergebnis der Unternehmen belastet. Der halbherzige Übergang vom 7- auf den 10-Jahres-Durchschnittszinssatz im Jahr 2016 hatte keinen nachhaltigen Effekt. Deshalb sollte der Zinssatz kurzfristig eingefroren werden.

Auch steuerlich ist der Rechnungszinssatz für die Pensionsrückstellungen ein Problem. Mit 6 Prozent liegt er deutlich jenseits dessen, was am Markt als Zins zu erzielen ist. In Verbindung mit dem deutlich niedrigeren und immer weiter sinkenden HGB-Rechnungszinssatzes führt das dazu, dass steuerliche Gewinne entstehen, die handelsrechtlich gar nicht existieren. Steuern müssen unter Umständen aus der Substanz gezahlt werden. Hier besteht ebenfalls dringender Handlungsbedarf.

Auch die steuerlichen Regelungen für die Unterstützungskasse sind reformbedürftig. Schon ein kleiner Fehler bei der Änderung der Zuwendungshöhe oder bei einer Übertragung von Vermögen auf eine andere Unterstützungskasse kann zu gravierenden steuerlichen Problemen führen. Viele Zusageanpassungen oder -umstellungen lassen sich ohne vorherige Abklärung mit den Finanzbehörden überhaupt nicht mehr rechtssicher bewerkstelligen.

Die Ampelkoalition hat sich in aller Kürze dazu bekannt, die betriebliche Altersversorgung zu stärken. Konkrete Ideen fehlen im Koalitionsvertrag, doch Vorschläge haben wir genug.

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