Reform des Nachweisgesetzes − Handlungsbedarf bei bAV und Zeitwertkonten? 

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22 September 2022

I. Allgemeines

Das Nachweisgesetz wurde ursprünglich im Jahr 1995 erlassen und seitdem zweimal angepasst. Die nun beschlossene umfangreiche Änderung soll die EU-Richtlinie 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union („Arbeitsbedingungenrichtlinie“) vom 31.07.2019 umsetzen. Neben vielen Änderungen im Bereich des allgemeinen Arbeitsrechts (z.B. Angaben zum Kündigungsschutzverfahren etc.) sind auch betriebliche Benefits, wie insbesondere die betriebliche Altersversorgung und Zeitwertkonten betroffen. Über den Umfang der Betroffenheit herrschen allerdings erhebliche Meinungsunterschiede. Angesichts der umfassenden Ausrichtung des Nachweisgesetzes auf das gesamte Arbeitsverhältnis, ist es in jedem Fall ratsam, die Nachweise betrieblicher Benefits nicht separat zu betrachten, sondern nach Form und Inhalt in die allgemeine betriebliche Vorgehensweise zur Umsetzung des Nachweisgesetzes einzubetten.

Die rechtlichen Anforderungen des Nachweisgesetzes unterscheiden nach Nachweispflichten zu Beginn des Arbeitsverhältnisses (§ 2 NachweisG) und solchen bei Änderung wesentlicher Rahmenbedingungen (§ 3 NachweisG). Allen Nachweisen gemein ist, die Einhaltung der strengen Schriftform im Sinne des § 126 Abs. 1 BGB, d.h. das Erfordernis einer eigenhändigen Namensunterschrift des Ausstellers. Der Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen in elektronischer Form ist und bleibt gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 NachweisG ausgeschlossen.

Verschärft werden die gesetzlichen Anforderungen neben einer Erweiterung des Katalogs, nachzuweisender Vertragsbedingungen nun zum einen durch eine teils massive Verkürzung der bisher geltenden Nachweisfristen. So ist die schriftliche Niederlegung der Angaben zu den Vertragsparteien, zur Vergütung sowie zu den Arbeitszeiten den Arbeitnehmern bereits am ersten Tag der Arbeitsleistung auszuhändigen. Weitere Angaben sind bis zum siebten Kalendertag bzw. bis zu einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses zu machen. Eine Änderung der wesentlichen Vertragsbedingungen während des laufenden Arbeitsverhältnisses ist dem Arbeitnehmer spätestens an dem Tag, an dem sie wirksam wird, schriftlich mitzuteilen. Daneben sind Verstöße − dazu zählen nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig vorgenommene Nachweise − nun aufgrund der gesetzlichen Anordnung in § 4 NachweisG bußgeldbewährt und zwar immerhin in einer Höhe von bis zu € 2.000,00 im Einzelfall.

Das neugefasste Nachweisgesetz gilt uneingeschränkt für ab dem 1.8.2022 begründete Arbeitsverhältnisse. Für Arbeitsverhältnisse, die vor dem 1.8.2022 bereits bestanden haben, besteht die Verpflichtung zum Nachweis wesentlicher Vertragsbedingungen nur auf Verlangen des Arbeitnehmers. Ob dies gleichermaßen für den Nachweis von Änderungen gilt, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

II. Nachweise bei Beginn des Arbeitsverhältnisses

Bei Beginn des Arbeitsverhältnisses sind insbesondere im Rahmen des Nachweises von Zusammensetzung und Höhe sowie Fälligkeit und Art der Auszahlung des Arbeitsentgelts (§ 2 Abs. 1 S. 2 Ziff. 7 NachweisG) nach wohl herrschender Meinung auch die betriebliche Altersversorgung und etwaig andere Sachleistungen und Benefitgestaltungen, wie beispielsweise Zeitwertkontenmodelle schriftlich nachzuweisen. Für die betriebliche Altersversorgung folgt dies nicht zuletzt aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BAG v. 13.11.2012 - 3 AZR 444/10).

Neu ist die Verpflichtung nach § 2 Abs. 1 S. 2 Ziff. 13 NachweisG, Name und Anschrift des Versorgungsträgers der betrieblichen Altersversorgung nachzuweisen. Da das Gesetz selbst von dieser Verpflichtung entbindet, wenn der externe Versorgungsträger selbst aufgrund gesetzlicher Regelungen zu einer entsprechenden Information verpflichtet ist, wirkt sich diese Änderung des Nachweisgesetzes angesichts der für versicherungsförmige Durchführungswege geltenden §§ 234k ff. VAG letztlich nur bei Unterstützungskassenzusagen aus. Beachtenswert ist, dass für Pensionsfonds, Pensionskassen und Lebensversicherungsunternehmen auf Grundlage von § 2 Abs. 1 VAG-Informationspflichtenverordnung die elektronische Form oder Papierform ausreicht.

In welchem Detaillierungsgrad die betriebliche Altersversorgung nachzuweisen ist, hängt nicht zuletzt am zu Grunde liegenden Rechtsbegründungsakt.

  • Bei Tarifverträgen, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen lässt § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 NachweisG einen „in allgemeiner Form gehaltenen Hinweis“ ausreichen. Damit wird die konkrete schriftliche Benennung der Rechtsgrundlagen erforderlich aber auch ausreichend sein, um den originären Nachweispflichten bei Antritt des Arbeitsverhältnisses zu genügen. Zudem ist auch der Nachweis von Änderungen innerhalb dieser Regelungen dann gemäß § 3 S. 2 NachweisG verzichtbar.
  • Ob eine entsprechende Privilegierung auch für andere kollektive Rechtsbegründungsakte (z.B. Sprecherausschussvereinbarung) oder individualrechtliche Rechtsbegründungsakte mit kollektivem Bezug (z.B. Gesamtzusage) gilt ist derzeit offen und angesichts des abschließenden Wortlauts von § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 NachweisG eher zweifelhaft. Damit wären in diesen Fällen wesentliche Zusagedetails, insbesondere zu

                    o   gewähltem Durchführungsweg

                    o   Höhe und Fälligkeit von Versorgungsbeiträgen

                    o   abgesicherte Risiken (Alters, Invalidität, Tod)

                    o   Leistungsberechnung, Leistungshöhen und Leistungsformen   (Rente, Kapital)

                    o   allgemeinen und besonderen Leistungsvoraussetzungen

direkt im Arbeitsvertrag nachzuweisen. Dieser Nachweis wäre zudem mangels gesetzlicher Privilegierung nicht dynamisch, müsste also bei jeder Änderung der Zusage aktualisiert werden.

III. Nachweise bei Änderungen wesentlicher Rahmenbedingungen

Um eine Änderung wesentlicher Rahmenbedingungen dürfte es sich jedenfalls immer dann handeln, wenn sich ein im Katalog des § 2 Abs. 1 S. 2 NachweisG originär nachweispflichtiger Umstand ändert. Bei Entgeltumwandlung in bAV, aber auch bei sonstigen Umwandlungen von Entgelt (z. B. in ein sog. Jobrad) sowie bei Zeitwertkonteneinbringung ändern sich jedenfalls Zusammensetzung und Fälligkeit des Arbeitsentgelts, so dass insoweit grundsätzlich jeweils neue, schriftliche Nachweise ausgelöst werden könnten. Dies entspricht allerdings nicht der Praxis bzw. dem Digitalisierungsinteresse vieler Arbeitgeber. Ist es doch aus administrativer Sicht vorzugswürdig spätestens im laufenden Arbeitsverhältnis weitestgehend papierlos zu operieren.

Möglicherweise kann bei vom Arbeitnehmer (digital oder schriftlich) initiierten Änderungen der wesentlichen Rahmenbedingungen mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes teleologisch argumentiert werden, dass hier kein weiterer Nachweis erforderlich ist. Weiß doch der Begünstigte üblicherweise, was er tut und stößt es ja sogar selber an. Ob eine derartige Argumentation vor Gericht Bestand hätte, ist angesichts des klaren Gesetzeswortlauts zweifelhaft. Zudem war es dem Gesetzgeber ausweislich des Gesetzgebungsverfahrens sehr wichtig, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich alle (z. B. für einen Rechtsstreit) erforderlichen Unterlagen in schriftlicher Form zur Hand hat. Angesichts des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes dürfte ferner auch eine „Nachweisumkehr“ durch Abläufe, in denen der Arbeitnehmer selbst die Änderungsanträge schriftlich unterzeichnet und an den Arbeitgeber schickt, nicht ausreichen.

Fraglich ist ferner, wie belastbar das Schreiben des BMAS an die aba vom 07.07.2022  ist, welches sich in puncto Entgeltumwandlung wie folgt äußert:

Das Nachweisgesetz verpflichtet den Arbeitgeber, seine Beschäftigten schriftlich über die vereinbarten wesentlichen Vertragsbedingungen zu informieren, dazu zählt auch „die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts“.

Der Arbeitgeber muss demnach über das Arbeitsentgelt informieren, nicht aber darüber, wofür das Arbeitsentgelt von den Beschäftigten im nächsten Schritt verwendet wird. Das Nachweisgesetz ist daher nach Auffassung des BMAS auf Betriebsrenten in der speziellen Form der Entgeltumwandlung nicht anwendbar.

Bei diesen Ausführungen stellt sich die Frage, ob das Schreiben eigentlich die Nachweispflichten bei Beginn des Arbeitsverhältnisses nach § 2 NachweisG oder den Nachweis wesentlicher Änderungen nach § 3 NachweisG vor Augen hatte. Der einleitende Hinweis auf die Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts scheint auf § 2 Abs.1 S. 2 Nr. 7 NachweisG abzustellen. Entgeltumwandlungen werden aber typischerweise erst im Verlauf des Arbeitsverhältnisses vorgenommen, so dass hier streng genommen § 3 NachweisG einschlägig ist. Unklar ist auch, warum das Schreiben von Verwendung des Arbeitsentgelts spricht, stellt die Entgeltumwandlung doch nach herrschender Meinung eine Schuldänderung dar, die den Barlohnanspruch des Arbeitnehmers reduziert und insoweit durch einen Anspruch auf Versorgungslohn ersetzt. Sie stellt also gerade keine (Lohn-)Verwendung dar, sondern strukturiert die Vergütung auf Bruttoebene um, mit der weiteren Konsequenz, dass sich hierdurch gerade Zusammensetzung, Fälligkeit und Art der Auszahlung wie sie in § 2 Abs.1 S. 2 Nr. 7 NachweisG angesprochen ist verändert.

Der pauschale Hinweis auf die Nichtanwendbarkeit „des Nachweisgesetzes“ wirft daher auf den ersten Blick mehr Fragen auf, als er Antworten gibt. Gleichwohl und auch wenn ihm keine normative Wirkung zukommt, indiziert er jedenfalls als Auslegungshilfe einen insoweit möglicherweise fehlenden Vollstreckungswillen des BMAS als Urheber des Gesetzes und kann analog bzw. erst recht auf Umwandlungen jenseits der bAV ausgedehnt werden.

Zudem verhindert ein Vertrauen auf das Schreiben unter Umständen bei betroffenen Arbeitgebern unter dem Aspekt eines Verbotsirrtums (§ 11 Abs. 2 OWiG) eine Bußgeldzumessung. Die Anforderungen hieran sind allerdings nicht unerheblich, so kann sich nur derjenige auf einen Verbotsirrtum berufen, der zuvor ausreichend Erkundigungen angestellt hat. Praxisrelevanz bekommt das BMAS-Schreiben zudem dann, wenn es die das Bußgeld vollziehende Behörde im Innenverhältnis binden sollte. Ob man sich hierauf verlassen mag bleibt jedem Anwender selbst überlassen.

Gut vertretbar scheint den Verfassern dagegen eine Argumentation, die bei einem einmal nachgewiesenen arbeitsvertraglichen Rahmen die Umsetzung dieser Rahmenbedingungen von der Änderung abgrenzt. Sowohl die einzelne Entgeltumwandlungserklärung als auch andere Umgestaltungen (wie z.B. das Ausüben vorab eingeräumter Wahlrechte) führt nach dieser Betrachtung gerade nicht zu einer Änderung der arbeitsvertraglichen Lage, sondern wendet die im Arbeitsvertrag eröffneten Möglichkeiten lediglich an. Dies gilt jedenfalls für kollektive Rechtsbegründungsakte, möglicherweise auch für individualrechtliche Rechtsbegründungsakte mit kollektivem Bezug und denkbarerweise auch für die bloße Gesetzesanwendung (z. B. mit Blick auf § 1a BetrAVG). Auch hier verbleiben aber rechtliche Unsicherheiten und Risiken, deren Ausmaß derzeit schlecht abschätzbar ist.

Wie hoch das tatsächliche Risiko ist, mit einem Bußgeld belegt zu werden, kann unseres Erachtens heute nicht wirklich beurteilt werden. So hängt es vermutlich auch an den personellen und fachlichen Kapazitäten der mit dem Vollzug betrauten obersten Landesbehörden sowie etwaigen Erfolgsvorgaben dieser Behörden. Erste Benchmarks ergeben ein uneinheitliches Bild: So scheinen bereits komplett papierlos agierende Unternehmen aktuell noch keinen akuten Handlungsbedarf für eine Änderung ihrer Vorgehensweise identifiziert zu haben, in gleichem Maße sind Unternehmen mit Papierprozessen wohl eher zurückhaltend, auf kurze Sicht eine Abkehr hiervon vorzunehmen. Mit Blick auf die Arbeitnehmer ist festzuhalten, dass trotz medialer Aufmerksamkeit des Nachweisgesetzes ein Ansturm von Bestandsmitarbeitern auf die Personalabteilungen, mit dem Ziel gesetzliche Nachweise nachzuholen, ausgeblieben ist.

Aus unserer Sicht werden technische Lösungen der HR-Administration über Administrationsplattformen und -portale angesichts einer ständig steigenden Arbeitsbelastung der Personalabteilungen weiterhin gefragt sein. Bereits gelebte digitale Prozesse müssen nicht zurückgedreht werden. Ob Arbeitgeber daneben zusätzliche Papiervorgänge implementieren, die z. B. über ein Online-Portal umgesetzte Vorgänge ausdrucken, unterzeichnen und dem Mitarbeitenden aushändigen, hängt nicht zuletzt an der individuellen Risikoeinschätzung und dem individuellen Risikoappetit jedes Arbeitgebers. Dabei wird sich der Nachweis von bAV und weiteren Benefits − auch und vor allem in seinem finalen Detaillierungsgrad −  in die allgemeine arbeitsrechtliche Nachweispraxis des Unternehmens einzufügen haben.

Gelebte digitale Prozesse müssen nicht zurückgedreht werden.
Über den/die Autor:in(nen)
Carsten Strube
Dr. Judith May
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