Entscheidung des BAG zur Wirksamkeit einer Mindestehedauerklausel mit Widerlegungsmöglichkeit  

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21 März 2022

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 02.12.2021 (3 AZR 254/21) entschieden, dass eine Arbeitgeberin der Witwe eines ehemaligen Arbeitnehmers keine Witwenrente gewähren muss, wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Versorgungszusage die Witwenrente für den Fall ausschließen, dass die Ehe nicht mindestens 12 Monate gedauert hat und die Witwe nicht nachweist, dass ihr Ehegatte aufgrund eines erst nach der Eheschließung erlittenen Unfalls oder einer erst später eingetretenen Krankheit gestorben ist.

Welcher Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde?

In dem entschiedenen Fall hatte der verstorbene Arbeitnehmer mit seiner früheren Arbeitgeberin einen Pensionsvertrag abgeschlossen. Diese Versorgungszusage sah u.a. eine Witwenrente vor. Sie war allerdings ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer die Ehe erst in den letzten 12 Monaten vor seinem Tod geschlossen hat, „es sei denn, er ist an den Folgen eines nach der Eheschließung erlittenen Unfalls oder an einer Krankheit gestorben, die erst nach der Eheschließung eingetreten ist“. Rund vier Monate vor seinem Tod hatte der Arbeitnehmer die spätere Witwe geheiratet.

Die Witwe begehrte von der Arbeitgeberin trotz einer Ehedauer von weniger als 12 Monaten und ohne Nachweis eines Unfalls oder einer Krankheit im Sinne der Mindestehedauerklausel die Zahlung der Witwenrente. Nach ihrer Ansicht war die Klausel aufgrund einer unangemessen Benachteiligung unwirksam, weil diese anders als § 46 Abs. 2a SGB VI für die gesetzliche Witwenrente nicht die Möglichkeit eröffnet, die Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen.

In den Vorinstanzen hatten sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrte die Klägerin weiterhin die Zahlung der Witwenrente. Aber auch vor dem BAG blieb sie erfolglos.

Wie hat das BAG seine Entscheidung begründet?

Das BAG folgte der Rechtsauffassung der beklagten Arbeitgeberin, dass die in der Versorgungszusage vereinbarte Mindestehedauerklausel wirksam ist. Entsprechende Klauseln unterliegen zwar der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle, da sie von der die Hinterbliebenenversorgung von Witwen und Witwern nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG kennzeichnenden Vertragstypik abweichen. Diese Typik besteht darin, Witwen sowie Witwer und damit eine bestimmte Kategorie von Personen eines abgrenzbaren Näheverhältnisses zum Arbeitnehmer abzusichern. Jegliche Beschränkung dieses Personenkreises ist nicht vertragstypisch und eröffnet damit die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle. Diese Kontrolle hat im entschiedenen Fall nicht zum Ergebnis gehabt, dass die streitgegenständliche Mindestehedauerklausel als unwirksam eingestuft wurde. Die Witwe wurde durch sie nicht im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt.

Ob eine solche unangemessene Benachteiligung vorliegt, ist unter Berücksichtigung der rechtlich anerkannten Interessen des Arbeitnehmers und der billigenswerten Interessen des Arbeitgebers und des Grundsatzes von Treu und Glauben zu ermitteln.

Auf Seiten der Arbeitgeberin berücksichtigte das BAG deren Interesse, das mit der Zusage einer Hinterbliebenenversorgung verbundene finanzielle Risiko zu begrenzen. In diesem Zusammenhang wies das BAG darauf hin, dass die gewählte Mindestehedauerklausel anders als die des § 46 Abs. 2a SGB VI und die des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG zur Beamtenversorgung nicht dazu dient, einen Missbrauch durch späte Eheschließung, also eine sogenannte Versorgungsehe zu verhindern.

Vielmehr dienen Klauseln wie die streitgegenständliche Mindestehedauerklausel dazu, Risiken, die sich bereits bei Eintritt des von der Versorgungszusage vorgesehenen Schutz konkretisiert haben, auszuschließen. Der Arbeitgeber ist daher berechtigt, angemessene Fristen zwischen dem Zeitpunkt, der zum Eintritt der Risikoabsicherung führt, und dem Zeitpunkt, zu dem das Risiko eintritt, vorzusehen. Bei einer Witwen-/Witwerversorgung sind dies zum einen der Zeitpunkt der Eheschließung und zum anderen der Zeitpunkt des Todes des Arbeitnehmers.

Die Frist dient insbesondere der Rechtssicherheit, weil im Einzelfall die Frage der Risikokonkretisierung streitig sein kann. Der Arbeitgeber muss in dem Fall, dass er eine entsprechende Frist in Form einer Mindestehedauer in seinen AGB vorsieht, der Witwe bzw. dem Witwer mit der Klausel zugleich die Möglichkeit eröffnen, darzulegen und erforderlichenfalls nachzuweisen, dass sich das Todesrisiko noch nicht bei der Eheschließung konkretisiert hatte. Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass der verstorbene Arbeitnehmer bei Eheschließung noch nicht an der Krankheit erkrankt sein bzw. noch nicht den Unfall erlitten haben durfte, die bzw. der zu seinem Tod innerhalb der Mindestehedauer geführt hat.

Die von der Arbeitgeberin vorgegebene Mindestehedauer von einem Jahr sah das BAG als noch angemessen an. Für diese Beurteilung zog es die entsprechenden Fristen der §§ 46 Abs. 2a SGB VI und 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG als gesetzliche Leitbilder heran, obwohl diese Vorschriften einen anderen Zweck verfolgen als die vereinbarte Mindestehedauerklausel. Damit bestätigte das BAG seine frühere Entscheidung vom 19.02.2019 (3 AZR 150/18), in der es ebenfalls die genannten gesetzlichen Vorschriften zur Beurteilung einer Klausel mit einer zehnjährigen Mindestehedauer herangezogen hatte.

Aufgrund des besonderen Zwecks der streitgegenständlichen Mindestehedauerklausel musste diese – anders als die für die Beurteilung der Länge der Mindestehedauer herangezogenen Bestimmungen der §§ 46 Abs. 2a SGB VI und 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG – keine Rückausnahmen für besondere, unerwartete, außergewöhnliche und nicht mit der Gesundheit des verstorbenen Arbeitnehmers verbundene Ereignisse vorsehen.

Weiterhin stellte das BAG fest, dass die Mindestehedauerklausel mit dem AGG vereinbar ist. Sie hat keine Benachteiligung aufgrund eines Merkmals im Sinne des § 1 AGG zur Folge. Der Ausschluss von der Witwenversorgung kann auf ein rechtmäßiges Ziel gestützt werden, ist sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Zweckerreichung sind angemessen und erforderlich. Das BAG verweist insoweit auf seine Argumentation zu § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Für welche Arbeitgeber ist die Entscheidung wichtig?

Sie ist für alle Arbeitgeber beachtlich, die individualrechtlich Versorgungszusagen erteilen, die für mehrere Versorgungsberechtigte vorformuliert sind und folglich als AGB einzuordnen sind und in deren Rahmen Witwen und Witwer aufgrund des Unterschreitens einer geforderten Mindestehedauer von der Hinterbliebenenversorgung ausgeschlossen werden. Diese Arbeitgeber müssen darauf achten, dass zum einen die Mindestehedauer nicht mehr als zwölf Monate beträgt und zum anderen der Witwe bzw. dem Witwer die Möglichkeit eröffnet wird, darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass der Arbeitnehmer aufgrund eines erst nach der Eheschließung erlittenen Unfalls oder einer erst danach eingetretenen Krankheit gestorben ist.

Für Arbeitgeber mit kollektivrechtlich begründeten Versorgungszusagen ist die Entscheidung des BAG ohne Bedeutung. Diese Versorgungszusagen unterliegen gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle. Dass das BAG im konkreten Fall hinsichtlich des Benachteiligungsverbotes des AGG auf seine Argumentation zu § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB verwiesen hat, ändert daran unseres Erachtens nichts. Denn die Klausel knüpft weder unmittelbar noch mittelbar an eines der in § 1 AGG aufgeführten Merkmale an. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass aufgrund von Mindestehedauerklauseln Personen einer Personengruppe (z.B. ältere Menschen) häufiger von der Hinterbliebenenversorgung ausgeschlossen werden als andere Personen. Nur in einem solchen Fall würde sich die vom BAG mit dem Verweis auf seine Argumentation zu § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB beantwortete Frage stellen, ob die unterschiedliche Behandlung gemäß § 10 AGG zulässig ist.

Welche Folgeprobleme ergeben sich aus der Entscheidung?

Haben Arbeitgeber in ihren als AGB einzustufenden Versorgungszusagen Mindestehedauerklauseln entsprechend der streitgegenständlichen Klausel geregelt, ergeben sich für sie keine Folgeprobleme. Sie müssen weiterhin keine Hinterbliebenenversorgung gewähren, wenn die Ehe keine 12 Monate gedauert hat und der Hinterbliebene nicht nachweisen kann, dass der Arbeitnehmer aufgrund eines erst nach der Eheschließung erlittenen Unfalls oder einer erst danach eingetretenen Krankheit gestorben ist.

Sollte die Mindestehedauerklausel allerdings nicht den Anforderungen des BAG entsprechen, so stellt sich die Frage, ob die Klausel unwirksam und somit der Arbeitgeber zur Erbringung der Hinterbliebenenversorgung verpflichtet ist. Grundsätzlich ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB von der Unwirksamkeit der Klausel auszugehen. Für den Fall einer Mindestehedauerklausel, die eine Ehedauer von 10 Jahre forderte, wurde dies vom BAG in seiner bereits zitierten Entscheidung vom 19.02.2019 angenommen. Allerdings kann im Einzelfall eine den Anforderungen des BAG nicht genügende Klausel gemäß § 306 Abs. 3 BGB wirksam sein, wenn deren Streichung zu einer unzumutbaren Härte führen würde. Die nicht gesetzeskonforme Klausel würde dann aber nicht in ihrer ursprünglichen Fassung fortgelten, vielmehr wäre die Klausel ergänzend auszulegen. In der zitierten Entscheidung aus dem Jahr 2019 hatte das BAG angenommen, dass die Mindestehedauer maximal ein Jahr betragen dürfte. Im Hinblick auf die nunmehr ergangene Entscheidung könnte im Fall einer unzumutbaren Härte für den Arbeitgeber, eine fehlerhafte Mindestehedauerklausel in der Weise ergänzend auszulegen sein, dass die Mindestehedauer maximal ein Jahr betragen darf und dem Hinterbliebenen eine Widerlegungsmöglichkeit eröffnet sein muss. Sollte allerdings keine unzumutbare Härte vorliegen, bliebe es bei der Unwirksamkeit der Klausel.

Eine Änderung der Versorgungszusage zum Zwecke der Heilung eines entsprechenden Mangels wäre grundsätzlich nur zu Lebzeiten des Arbeitnehmers mit dessen Einverständnis zulässig. Auf Basis der neueren Rechtsprechung des BAG zur Änderung von AGB könnten die betroffenen Versorgungszusagen grundsätzlich auch durch eine Betriebsvereinbarung abgeändert werden, hierbei wären aber die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu beachten.

Über den/die Autor:in(nen)
Joachim H. Kaiser
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