17. Februar 2021
Das Sozialgericht Berlin hat in einem Urteil vom 30.07.2020 entschieden, dass Beträge, die im Rahmen einer Entgeltumwandlung in ein Zeitwertkonto eingebracht werden, weiterhin zum Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung zählen. Das Gericht hat damit die Feststellung der beklagten Krankenkasse, dass infolge eines Unterschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze durch die Entgeltumwandlung die Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für den Arbeitnehmer entfallen sei, aufgehoben. Nach Ansicht des Gerichts beeinflussen die Einzahlungen in ein Zeitwertkonto nicht die Höhe des maßgeblichen Jahresarbeitsentgelts.
Es entspricht jedoch bisher einhelliger Ansicht, dass die Herabsetzung von Arbeitsentgelt zugunsten der Einbringung in ein Zeitwertkonto (Aufbau von Wertguthaben) sowohl die Besteuerung als auch die Verbeitragung der entsprechenden Entgeltbestandteile aufschiebt. Erst mit der späteren Auszahlung aus dem Wertguthaben bezieht der Arbeitnehmer steuer- und beitragspflichtiges Arbeitsentgelt. Das BMF stellt in seinem Schreiben vom 17.06.2009 über die lohn-/einkommensteuerliche Behandlung und die steuerliche Anerkennung von Zeitwertkonten-Modellen fest, dass weder die Vereinbarung eines Zeitwertkontos noch die Wertgutschrift auf diesem Konto zum Zufluss von Arbeitslohn führen. Der GKV Spitzenverband erläutert in seinen grundsätzlichen Hinweisen zur Versicherungsfreiheit von Arbeitnehmenden bei Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze (Stand: 20. März 2019), dass Vergütungsbestandteile, die für Zeiten der tatsächlichen Arbeitsleistung in ein Wertguthaben nach § 7b SGB IV eingebracht werden, erst für Zeiten der Inanspruchnahme des Wertguthabens dem regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt zuzurechnen sind.
Das Sozialgericht Berlin setzt sich mit den vorstehenden Ansichten nicht auseinander. Vielmehr folgert es aus dem Umstand, dass nur Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung in ein Wertguthaben eingebracht werden kann, dass das damit aufgebaute Wertguthaben dann ebenfalls als Arbeitsentgelt zu betrachten ist. Allerdings hebt das Gericht nicht zugleich die nachgelagerte Verbeitragung auf, sondern trennt zwischen der Einordnung als Arbeitsentgelt einerseits und der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge andererseits. Die Beitragserhebung werde durch die Regelung in § 23b SGB IV aufgeschoben bis zur Auszahlung des Wertguthabens.
Bewertung
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin betrifft eine Grauzone in der Beurteilung von Zeitwertkonten. Aus der bestehenden gesetzlichen Regelung geht nicht eindeutig hervor, welchen Entgeltstatus ein Wertguthaben in der Zeitspanne nach der Dotierung bzw. Einbringung von Arbeitsentgelt und vor der Auszahlung an den Berechtigten hat. Die positiven Aspekte des Urteils liegen zum einen darin, dass es die nachgelagerte Verbeitragung von Wertguthaben im Ergebnis nicht angreift, und es zum anderen eine Lösung bietet, die „ohne erkennbare Not und ohne ein wirkliches Schutzbedürfnis“ bei Entgeltumwandlung drohenden Brüche im KV-rechtlichen Status zu vermeiden. Mit dem Urteil wird jedoch das Spektrum der möglichen rechtlichen Beurteilungen erweitert und damit im Ergebnis die Rechtsunsicherheit für die Praxis erhöht. Es zeigt sich wieder, dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen zu Zeitwertkonten sehr viel Spielraum für Interpretationen lassen. Hinzu kommt, dass die vom Sozialgericht Berlin entschiedenen Fragen sich ähnlich auch im Zusammenhang mit einer Entgeltumwandlung zugunsten der betrieblichen Altersversorgung stellen. Die Tragweite geht daher über das Thema Zeitwertkonten hinaus.
Literaturhinweis
Die Grundlagen der sozialversicherungsrechtlichen Aspekte und alle weiteren Themenfelder der Zeitwertkonten sind in dem vor Kurzem im De Gruyter Verlag erschienenen „Praxishandbuch Betriebliche Altersversorgung und Zeitwertkonten“ (Herausgeber: Mathias Ulbrich) aktuell und kompakt dargelegt. Autor des Kapitels „Zeitwertkonten“ ist Rolf Misterek.