Der Berg kreißte und gebar eine Maus – zum Bericht der Rentenkommission

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Thomas Hagemann
Chefaktuar, Mercer Deutschland


03. April 2020

Am 27.3.2020 hat die Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ ihren Abschlussbericht vorgelegt. An Buchstaben wurde nicht gespart: Die drei Teile Kurzfassung, Empfehlungen und Materialien beinhalten zusammen 430 Seiten. Der Inhalt ist allerdings enttäuschend.

Natürlich hat sich die Kommission schwerpunktmäßig mit der gesetzlichen Rentenversicherung beschäftigt. Viele Passagen lesen sich wie ein „weiter so“, was nicht überraschend ist, wenn man bedenkt, dass die Kommission von Mitgliedern der Koalitionsparteien geleitet wurde. So hält man beispielsweise an der doppelten Haltelinie fest, möchte sie allerdings weiter entwickeln zu einer vierfachen Haltelinie, die durch perspektivische Haltelinien ergänzt wird.

In anderen Punkten ist man über Überlegungen nicht hinausgekommen. Es werden Überlegungen zur unterschiedlichen Anpassung von Anwartschaften und laufenden Leistungen und Überlegungen zur Regelaltersgrenze vorgestellt, die aber nicht in eine konkrete Empfehlung mündeten.

Selbstständige sollen die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden, Beamte und Abgeordnete nicht – die Empfehlung, das zu tun, was man ohnehin vorhatte. Arbeitnehmer sollen so lange wie möglich in Arbeit bleiben können – wer würde das nicht unterschreiben? Hierzu gehört auch die Empfehlung, Prävention und Rehabilitation auszuweiten. Die säulenübergreifende Altersvorsorgeinformation wird ausdrücklich unterstützt – schon in Arbeit. Außerdem soll ein Gender Check eingeführt werden: Genderspezifische Folgen von Änderungen in der Altersversorgung sind im Vorfeld abzuschätzen. Macht man das nicht ohnehin?

Im Hinblick auf die gesetzliche Rentenversicherung ist der große Wurf also ausgeblieben und die enttäuschten Kommentare von allen Seiten des politischen und gesellschaftlichen Spektrums belegen das. Die Empfehlungen zur betrieblichen und privaten Altersversorgung wurden in der Presse bisher weniger betrachtet. Vielleicht sieht das Bild dort besser aus? Sehen wir sie uns einmal an.

Die Rentenkommission äußert sich positiv zur Riester-Förderung, erkennt aber die Probleme, dass die Verbreitung von betrieblicher und privater Altersversorgung stagniert und dass insbesondere bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht von der zusätzlichen Altersversorgung profitieren.

Ein Absatz aus dem Bericht wird hier wörtlich wiedergegeben, weil er uneingeschränkt zu unterstützen ist:

Die Kommission befürwortet Maßnahmen, die auf den bisherigen Strukturen der privaten und betrieblichen Altersvorsorge aufsetzen. Die heute sehr große Komplexität der privaten und betrieblichen Altersvorsorge sollte nicht noch weiter gesteigert, sondern eher sinnvoll verringert werden. Die z. T. erheblichen Unterschiede in der Frage der steuer- und beitragsrechtlichen Förderung bzw. Zulagenförderung, der Höhe der garantierten Leistung, der Auszahlungsoptionen und sonstigen gesetzlichen Vorgaben erschwert nicht nur das Verständnis, sondern kann auch von der Entscheidung für eine Altersvorsorge abhalten. Zudem sollte künftig vermieden werden, dass eine optimierte Nutzung der staatlichen Förderung den Abschluss mehrerer Altersvorsorgeverträge erfordert.

Welche konkreten Maßnahmen empfiehlt man nun?

1. Geringverdienerförderung verbessern: Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz wurde ein Förderbeitrag eingeführt. Die hierfür maßgebliche Einkommensgrenze von 2.200 € pro Monat soll erhöht und dynamisiert werden.

2. Modifizierte Garantien einführen: Im Falle der Riester-Förderung muss der Anbieter bei Rentenbeginn derzeit 100 Prozent der Beiträge garantieren. Dieser Prozentsatz soll herabgesetzt werden, die Erfüllung der Garantie auch in die Leistungsphase verschoben werden können.

3. Steuerliche Regeln vereinheitlichen: Die unterschiedlichen steuerlichen Förderungen sollen konsistenter werden. Konkret wird lediglich gefordert, dass der Sonderausgabenabzug im Falle der Riester-Förderung auf 4 Prozent der BBG erhöht wird.

4. Förderung der privaten Altersvorsorge verbessern: Riester- und Rürup-Förderung sollen zusammengelegt, die Zulagen dynamisiert und das Zulagenverfahren vereinfacht werden. Die Sozialabgabenfreiheit von Beiträgen soll dagegen nicht ausgeweitet werden.

5. Deutschlandrente einführen: Auch, wenn der Begriff nicht explizit verwendet wird, erinnern ein staatliches Altersvorsorgeprodukt, ein Produktstandard und eine Liste vertriebskostenfreier Produkte doch sehr stark an die Vorschläge zur Deutschlandrente. Für diese neue Form der Altersversorgung soll eine digitale Plattform geschaffen werden.

6. Obligatorium prüfen: Wenn sich die Verbreitung der zusätzlichen Altersversorgung bis 2025 nicht erhöht, soll eine verpflichtende zusätzliche Altersvorsorge geprüft werden.

7. Informations- und Beratungsangebote verbessern: Eine Verbesserung der Informationen zu Möglichkeiten der Altersvorsorge soll über die digitale Plattform (siehe Nummer 5) ermöglicht werden.

Der große Wurf ist das sicherlich nicht, eher eine Zusammenfassung eines Teils der aktuellen Diskussion zur zusätzlichen Altersvorsorge.

Die Verbesserungen bei der Geringverdiener- oder Riester-Förderung und die Erleichterung bei verpflichtenden Garantien wären sicherlich zu begrüßen. Ob sie allein einen wesentlichen Anteil zur weiteren Verbreitung der zusätzlichen Altersversorgung erlangen können, ist allerdings fraglich.

Was fehlt, sind Vorschläge zur Fortentwicklung der reinen Beitragszusage, die mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz eingeführt wurde. Bisher ist noch kein Arbeitnehmer über diese neue Zusageform versorgt. Stattdessen wird die Deutschlandrente aus dem Köcher geholt.

Auf welchem Wege diese Altersvorsorgeverträge der sogenannten „Deutschlandrente“ abgeschlossen werden sollen, wird in dem Bericht nicht erwähnt. Zu befürchten ist, dass hier der Arbeitgeber wieder den gesamten Verwaltungsaufwand tragen soll, wie es auch der Originalvorschlag zur Deutschlandrente vorsieht.

Warum ermöglicht man nicht erst einmal den Unternehmen, auch ohne Haus- oder Flächentarifvertrag eine reine Beitragszusage umzusetzen? Warum möchte man den Arbeitgebern eine neue Form der Altersversorgung aufbürden, noch bevor die zuletzt eingeführte reine Beitragszusage ausgereizt ist? Und wieso widerspricht sich die Kommission hier selbst, da sie doch, wie oben zitiert, „Maßnahmen, die auf den bisherigen Strukturen der privaten und betrieblichen Altersvorsorge aufsetzen“, ausdrücklich befürwortet.

Die größte Sorge, die dieser Bericht hinterlässt: Bekommt die Deutschlandrente nun neuen Auftrieb?

Direktzusage und Unterstützungskasse scheint man in der Kommission übrigens gar nicht zu kennen. Keiner der Vorschläge hat Auswirkungen auf diese beiden Durchführungswege, obwohl sie vom Umfang her die größte Bedeutung innerhalb der betrieblichen Altersversorgung haben und dringend Unterstützung benötigen. Oder sieht man hier gar keinen Handlungsbedarf? Wir könnten helfen: Rechnungszins nach § 6a EStG herabsetzen, Rechnungszins nach HGB festschreiben oder Änderungen der Versorgungszusagen erleichtern.

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