DEUTSCHE RECHNUNGSLEGUNG

Neue Bewertung von Rückdeckungsversicherungen in der Handelsbilanz

10. August 2021

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Thomas Hagemann
Chefaktuar, Mercer Deutschland

 

Der Fachausschuss Unternehmensberichterstattung des IDW hat einen neuen Hinweis zur Rechnungslegung verabschiedet, der erhebliche Auswirkungen auf die Bewertung von Rückdeckungsversicherungen im handelsrechtlichen Jahresabschluss haben wird. Es geht um den „IDW Rechnungslegungshinweis: Handelsrechtliche Bewertung von Rückstellungen für Altersversorgungsverpflichtungen aus rückgedeckten Direktzusagen (IDW RH FAB 1.021)“ vom 30.4.2021, der im Juli in der IDW-Mitgliederzeitschrift veröffentlicht wurde.

Worum geht es?

Bereits seit längerem besteht eine Besonderheit für rückdeckungsgebundene Versorgungszusagen. Hierbei handelt es sich um Versorgungszusagen, bei denen sich die Höhe der Versorgungsleistungen nach der Höhe der Versicherungsleistungen richtet. Im HGB-Abschluss werden diese Zusagen als wertpapiergebundene Versorgungszusagen bewertet. Somit wird der Aktivwert der Versicherung auch als Verpflichtungswert angesetzt. Wir haben eine korrespondierende Bewertung auf der Aktiv- und Passivseite.

Nun gibt es sehr häufig die Situation, dass für eine bestehende Versorgungszusage nachträglich eine Rückdeckungsversicherung abgeschlossen wird. Auch wenn die Rückdeckungsversicherung die Leistungen aus der Versorgungszusage recht genau abdeckt, konnte es bisher erhebliche Bewertungsunterschiede geben. Die folgende Darstellung stellt das Problem schematisch an einer Kapitalzusage dar. Im Falle von Rentenzusagen können die Unterschiede noch gravierender sein.

 

 

Obwohl das Unternehmen aus der Kombination der Versorgungszusage mit der Rückdeckungsversicherung in der Zukunft keinen Aufwand oder Ertrag haben wird, wird der Aktivwert höher angesetzt als die Pensionsrückstellungen. Die Vermögensituation des Unternehmens wird besser dargestellt, als sie tatsächlich ist.

Das IDW ist zu dem Schluss gekommen, dass auch in solchen Fällen eine korrespondierende Bewertung zu erfolgen hat. Entweder sind die Pensionsrückstellungen mit dem Wert der Rückdeckungsversicherung zu bewerten (Aktivprimat), oder die Rückdeckungsversicherung ist mit dem Wert der Pensionsrückstellungen zu bewerten (Passivprimat).

Die Erstanwendung dieser neuen Regelungen führt in beiden Fällen zu handelsrechtlichem Aufwand.

Welche Versicherungen sind betroffen?

Von der Änderung betroffen sind alle kongruenten Rückdeckungsversicherungen. Eine Versicherung ist dann als kongruent anzusehen, wenn die hieraus zu erwartenden Zahlungen hinsichtlich der Höhe und des Zeitpunkts deckungsgleich mit den Versorgungsleistungen sind.

Faktisch kommt damit auch ein „Ungefähr“ ins Spiel. Während früher die herrschende Meinung war, Kongruenz liege nur dann vor, wenn die Leistungen hinsichtlich von Höhe und Zeitpunkt exakt übereinstimmen, und Kongruenz somit immer eine versicherungsgebundene Zusage voraussetzte, wird zukünftig keine exakte Kongruenz mehr gefordert.

Explizit wird das in dem Rechnungslegungshinweis bezogen auf den Zeitpunkt dargestellt. Eine taggenaue Übereinstimmung wird nicht gefordert. Gewisse Abweichungen in den Zahlungszeitpunkten stehen der Kongruenz nicht im Wege, wobei das IDW aber offenlässt, wie weit diese Abweichungen gehen dürfen.

Ähnlich wird die Sichtweise bezogen auf die Höhe der Leistungen sein. Geringfügige Abweichungen in der Leistungshöhe, insbesondere im zeitlichen Verlauf von Leistungen, werden nicht gegen die Kongruenz sprechen.

Wie weit dürfen die Abweichungen gehen?

Die Anwendung der neuen Regeln ist nicht auf Versorgungszusagen beschränkt, bei denen alle Leistungen vollständig durch Leistungen einer Versicherung abgedeckt werden.

Wird eine Rückdeckungsversicherung nur über einen Teil der zugesagten Leistungen abgeschlossen, liegt insoweit teilweise Kongruenz vor. Die neuen Regeln gelten für den rückgedeckten Teil der Versorgungszusage. Für den nicht rückgedeckten Teil gelten weiterhin die allgemeinen Bewertungsregeln.

Wird umgekehrt eine Rückdeckungsversicherung über höhere Leistungen abgeschlossen, als zugesagt sind, so liegt in Höhe der Leistungen aus der Zusage eine kongruente Rückdeckungsversicherung vor. In Höhe der Überversicherung, also des Teils der Versicherung, der für die Abdeckung der Leistungen nicht erforderlich ist, greifen die normalen Bewertungsregeln für Rückdeckungsversicherungen.

Das heißt, dass die Kongruenz zukünftig der Regelfall, nicht die Ausnahme ist. Auch wenn Rückdeckungsversicherung auf den ersten Blick nicht kongruent aussehen, wird man bei genauerer Prüfung oftmals eine partielle Kongruenz feststellen, sodass die neuen Bewertungsregeln auch hier greifen.

Welche Rolle spielt der Finanzierungsverlauf?

Kongruenz erfordert nicht nur eine Übereinstimmung der Leistungen, sondern auch eine Übereinstimmung der Finanzierung der Versicherung und des Erdienens der Zusage. Wird beispielsweise eine Versorgungszusage, die bis zum Pensionsalter noch erdient werden muss, mit einer Rückdeckungsversicherung in Höhe der insgesamt erreichbaren Leistungen hinterlegt und wird hierfür ein Einmalbeitrag an die Versicherung gezahlt, so liegt Kongruenz nur insoweit vor, wie die Rückdeckungsversicherung auch die bereits erdienten Leistungen abdeckt.

Auch in diesem Fall findet daher eine Aufteilung statt: Für den Teil der Versicherung, der die erdienten Leistungen abdeckt, besteht Kongruenz mit der Folge einer korrespondierenden Bewertung, für den restlichen Teil der Rückdeckungsversicherung greifen die normalen Bewertungsregeln.

Gibt es dann überhaupt Rückdeckungsversicherungen, die nicht betroffen sind?

Zunächst einmal sind sämtliche versicherungsgebundene Versorgungszusagen von der neuen Sicht des IDW nicht betroffen. Die Einstufung als wertpapiergebundene Versorgungszusage erforderte bereits in der Vergangenheit eine korrespondierende Bewertung. Die Verpflichtungswerte waren mit dem Wert der Rückdeckungsversicherung anzusetzen. Daran ändert sich nichts.

Umgekehrt gibt es Versicherungen, die weiterhin als nicht kongruent anzusehen sind. Das sind insbesondere Fälle, bei denen die Leistungsart auseinanderläuft. Wird beispielsweise für eine Rentenzusage eine reine Kapitalversicherung abgeschlossen, um das Risiko einer deutlichen Rückstellungserhöhung bei vorzeitigen Versorgungsfällen abzufangen, liegt keine Kongruenz vor. Im Falle eines vorzeitigen Versorgungsfalls wird aus der Zusage eine Rente und aus der Versicherung ein Kapital fällig. Die Leistungen sind nicht kongruent.

Handelt es sich in diesem Beispiel allerdings nicht um eine reine Kapitalversicherung, sondern beispielsweise um eine Kapitalversicherung mit Rentenwahlrecht, so wäre regelmäßig von Kongruenz auszugehen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Unternehmen begründet darlegen kann, dass die Kapitalleistung in Anspruch genommen werden soll. Auch die Möglichkeit eines vorzeitigen Rückkaufs spricht nur dann gegen die Kongruenz, wenn der Rückkauf verbindlich geplant ist. Sind die Versicherungen verpfändet, wird eine solche begründete Darlegung nicht möglich sein.

Verkompliziert das nicht die Bewertung?

Durch die geänderte Sichtweise des IDW erhöht sich in vielen Fällen der Bewertungsaufwand, in manchen Fällen wird es allerdings auch einfacher.

Einfacher wird es dort, wo Rückdeckungsversicherungen als vollständig kongruent anzusehen sind. Hier könnte zukünftig auf eine versicherungsmathematische Bewertung der Verpflichtung verzichtet werden und stattdessen der Wert der Versicherung auch als Verpflichtungswert angesetzt werden.

Schwieriger wird es dort, wo Kongruenz nur teilweise vorliegt. Hier muss die Verpflichtung aufgeteilt werden in einen kongruent rückgedeckten und einen nicht rückgedeckten Teil. Ähnlich sieht es im Falle der Überversicherung aus. Hier muss die Versicherung aufgeteilt werden. Für ein und dasselbe Wirtschaftsgut müssen dann also zwei unterschiedliche Bewertungen durchgeführt werden.

Besonders aufwendig wird die Bewertung, wenn bei einer Zusage manche Leistungen teilweise kongruent abgesichert und andere Leistungen überversichert sind.

Hinzu kommt, dass die Wertermittlung von Rückdeckungsversicherung und Verpflichtung koordiniert werden muss. Oftmals weiß beispielsweise der versicherungsmathematische Gutachter nicht einmal, dass eine Rückdeckungsversicherung besteht.

Die neuen Regeln des IDW führen zu Mehraufwand bei Unternehmen, Gutachtern und Versicherungen.

Müssen die Regelungen des IDW angewendet werden?

Für die im IDW organisierten Wirtschaftsprüfer ist der Rechnungslegungshinweis bindend. Eine Abweichung müsste im Prüfungsbericht begründet werden. Somit ist der Rechnungslegungshinweis faktisch bindend.

Inhaltlich kann man kritisieren, dass das IDW rein wirtschaftlich argumentiert.

Eine korrespondierende Bewertung ist für diese Fälle im Gesetz gar nicht vorgesehen. Das Gesetz fordert für Rückdeckungsversicherungen die Bewertung mit den Anschaffungskosten und für Pensionsrückstellungen die Bewertung mit dem Erfüllungsbetrag. Eine korrespondierende Bewertung ergibt sich nach dem Gesetz nur für wertpapiergebundene Versorgungszusagen und im Falle von Bewertungseinheiten. Auf beide Regelungen nimmt das IDW allerdings nicht Bezug.

Der entscheidende Bewertungsschritt wird also nicht unter Bezugnahme auf das Gesetz begründet.

Gibt es noch offene Fragen?

Die Grundzüge, die das IDW aufgestellt hat, sind klar und eindeutig. In der Praxis wird es aber viele Konstellationen geben, bei denen die Bewertung nicht ganz klar ist. Manche Ermessensspielräume, beispielsweise zur Frage, bis zu welchen Abweichungen noch von Kongruenz gesprochen werden kann, können nur unternehmensindividuell beantwortet werden. Andere Fragen sind grundsätzlicher Natur, beispielsweise die Frage, wie genau in der Bewertung vorzugehen ist, wenn nur teilweise Kongruenz vorliegt. Nach der Veröffentlichung des Rechnungslegungshinweises des IDW beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe der Deutschen Aktuar-Vereinigung mit konkreten Anwendungshinweisen.

Ab wann gelten die neuen Regelungen?

Ursprünglich hatte das IDW die Absicht, die neuen Regeln unmittelbar nach Veröffentlichung anzuwenden. Mit Veröffentlichung des Rechnungslegungshinweises hat das IDW allerdings verlautbart, dass „eine Nichtanwendung des IDW Rechnungslegungshinweises bei der Aufstellung von Abschlüssen für Zeiträume, die vor dem 31.12.2022 enden, nach Auffassung des FAB durch den Abschlussprüfer nicht zu beanstanden sein“ wird. Dieser wichtige Satz steht allerdings nicht im Rechnungslegungshinweis selbst, sodass es möglicherweise schon in diesem Jahr erste Diskussionen mit Abschlussprüfungen gibt.

Daneben ist es möglich, die Regelungen freiwillig schon in diesem Jahr anzuwenden, zum Beispiel weil der daraus resultierende Aufwand das Unternehmen im nächsten Jahr voraussichtlich stärker belastet als in diesem Jahr. Dabei ist aber auch zu beachten, dass die fachliche Diskussion über Anwendungsgrundsätze gerade erst begonnen hat. Aus praktischer Sicht ist es daher vermutlich sinnvoller, bis zum nächsten Jahr zu warten.

Welche sonstigen Folgen hat der neue Rechnungslegungshinweis?

Neben der unmittelbaren Auswirkung auf die Jahresabschlüsse hat die geänderte Bewertung von Rückdeckungsversicherungen auch Auswirkungen auf die Entscheidung von Unternehmen, überhaupt Rückdeckungsversicherungen abzuschließen.

Wenn früher eine Rückdeckungsversicherung nachträglich abgeschlossen wurde, so ergab sich ungefähr in Höhe des Beitrags auch ein Aktivwert zum Jahresende. Die Differenz resultierte im Wesentlichen aus den Kosten der Versicherung.

Zukünftig wird der Aktivwert deutlich unter dem Beitrag des Jahres liegen, sodass sich ein handelsrechtlicher Aufwand ergibt, der die Kosten der Versicherung deutlich übersteigt. Das wird möglicherweise Unternehmen davon abhalten, Rückdeckungsversicherungen abzuschließen.

Allerdings muss man dabei auch beachten, dass es sich hierbei nur um eine zeitliche Verschiebung handelt. Bei der bisherigen Bewertung fällt derselbe Aufwand erst in späteren Perioden an, wenn sich Rückdeckungsversicherung und Verpflichtung in der Bewertung sukzessive annähern. Manch ein Unternehmen wird daher vielleicht auch die wirtschaftlich zutreffendere Bewertung begrüßen.

Mögliche Auswirkungen auf die Rechnungslegung nach IFRS

Die Vorschriften von IAS 19.115 sowie IAS 19.119 in Verbindung mit den Ausführungen in den Abschnitten 2.3.2.2 sowie 2.3.3 der DAV-Richtlinie zur „Anwendung von IAS 19 Employee Benefits auf die betriebliche Altersversorgung in Deutschland“ vom 23.06.2020 verlangen auch in der Rechnungslegung nach IFRS identische Wertansätze von Verpflichtungswert und Plan Assets für vollkongruent rückgedeckte bzw. für teilkongruent rückgedeckte Versorgungszusagen bezüglich der kongruenten Leistungsanteile. Im Hinblick darauf, dass bisher auch in der Rechnungslegung nach IAS 19 geringfügige Abweichungen in der Kongruenz häufig zur Nichtanwendung dieser Vorschriften und damit zu unterschiedlichen Wertansätzen führten, wird man im Zuge einer Neueinstufung der Kongruenz von Rückdeckungsversicherungen im HGB-Abschluss eine geänderte Klassifizierung wohl auch auf den Abschluss nach IFRS übertragen müssen. Das IDW geht auf diesen Aspekt bisher nicht ein.

Wo kann man das alles nachlesen?

Das IDW legt großen Wert auf sein Urheberrecht. Der Rechnungslegungshinweis wurde ausschließlich in der Mitgliederzeitschrift veröffentlicht. Diese Mitgliederzeitschrift kann von Nichtmitgliedern nicht erworben werden.

Das ist ein großes Ärgernis auch bei anderen Dokumenten des IDW. Auf der einen Seite werden faktisch Vorgaben für die Bilanzierung gemacht, die alle Unternehmen beachten müssen. Auf der anderen Seite werden den Unternehmen diese Vorgaben nicht zur Verfügung gestellt.

Es gibt dennoch die Möglichkeit, den Rechnungslegungshinweis legal zu erwerben. Der Dokumentlieferservice subito, bei dem man Kopien aus Beständen wissenschaftlicher Bibliotheken bestellen kann, kann weiterhelfen.

Nachträgliche Ergänzung, 20.08.2021: Der IDW Verlag hat darauf aufmerksam gemacht, dass sämtliche IDW Verlautbarungen stets im IDW Verlag erworben werden können: Einzeln als Print on Demand oder insgesamt mit laufender Aktualisierung online oder Loseblattausgabe inkl. online.

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