Datum: 21.03.2017 (aktualisiert am 10.05.2017)
Autor: Thomas Hagemann und Dr. Carl-Heinrich Kehr
2016 stiegen die Verpflichtungswerte (DBO) der DAX-30-Unternehmen von 361 Mrd. Euro deutlich auf 397 Mrd. Euro. Die Pensionsvermögen entwickelten sich im selben Zeitraum von 236 Mrd. Euro auf 251 Mrd. Euro. Der Deckungsgrad sinkt nur leicht auf 63 Prozent. Dies sind die Ergebnisse einer Analyse des internationalen Beratungsunternehmens Mercer. Herangezogen wurden hierfür Geschäftsberichte aller 30 DAX-Unternehmen.
Nachdem das Jahr 2015 durch eine leichte Entspannung in der Zinsentwicklung gekennzeichnet war, ist der Zins im Jahr 2016 wieder deutlich gesunken. Dadurch stiegen die Verpflichtungswerte der DAX-30-Unternehmen deutlich an und erreichten mit 397 Mrd. Euro einen historischen Höchststand.
Zu beachten ist, dass es sich bei dem Anstieg der Pensionsverpflichtungen um eine rein bilanzielle Bewertung handelt. Die Verpflichtungen selbst sind i. d. R. nicht zinsabhängig, die späteren Versorgungszahlungen werden also durch die Niedrigzinsphase grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Die Unternehmen sind dennoch gezwungen, die Pensionsverpflichtungen mit einem Marktzins zu diskontieren.
Der Rechnungszins für gemischte Bestände nach der Mercer Yield Curve, einem Verfahren zur Herleitung des Rechnungszinssatzes nach IAS 19, ist im Jahr 2016 von etwa 2,4 auf etwa 1,7 Prozent gesunken. „Die DAX-Unternehmen mussten den verwendeten Rechnungszins erneut deutlich reduzieren. Dadurch entstanden versicherungsmathematische Verluste in Höhe von etwa 46 Mrd. Euro, die aber das Jahresergebnis nicht belasten, da sie erfolgsneutral zu erfassen sind“, erläutert Thomas Hagemann, Chefaktuar von Mercer Deutschland.
Der niedrigste Rechnungszins im Jahr 2016 wurde im September erreicht: Damals lag der Wert nach der Mercer Yield Curve bei etwa 1,3 Prozent. Darunter hatten Siemens, Infineon und ThyssenKrupp zu leiden, deren Bilanzstichtag der 30.09. ist. Siemens und Infineon haben im Euroraum einen Zins von nur 1,0 Prozent angesetzt, ThyssenKrupp 1,3 Prozent.
Ohne die Veränderungen beim Zins wären die Verpflichtungswerte nur unwesentlich angestiegen, weil der planmäßige Anstieg der Verpflichtungen durch Verzinsung und weitere Dienstjahre in etwa genauso groß war wie die getätigten Zahlungen.
K+S ist 2016 aus dem DAX ausgeschieden, ProSiebenSat.1 Media wurde neu aufgenommen. Die daraus resultierende Veränderung der Pensionsverpflichtungen der DAX-Unternehmen liegt unter 1 Mrd. Euro und ist damit vernachlässigbar.
Der Rückgang des Zinsniveaus spiegelt sich auch in der Entwicklung von festverzinslichen Wertpapieren wider, die korrespondierend deutlich im Wert gestiegen sind. Hinzu kommt eine positive Entwicklung am Aktienmarkt. Insgesamt stieg das Pensionsvermögen der DAX-Unternehmen im IFRS-Abschluss von etwa 236 Mrd. Euro auf etwa 251 Mrd. Euro an.
Nur ein kleiner Teil des Anstiegs beruht auf Dotierungen, die etwa 1 Mrd. Euro über den Mittelabflüssen aus dem Pensionsvermögen liegen. Der darüber hinausgehende Vermögensanstieg ist demnach auf die gute Performance zurückzuführen. Die Gesamtrendite liegt bei etwa 6 Prozent.
Die Entwicklung der Kapitalmärkte war im Jahr 2016, nach einem durch die Ölmärkte und Unsicherheit über die Zinspolitik der Zentralbanken geprägten Jahresanfang, besonders von großen politischen Entwicklungen bestimmt: Brexit-Votum und US-Präsidentenwahl. Während die Marktteilnehmer sich jeweils im Vorfeld für ein bestimmtes Ergebnis positioniert hatten, brachten beide Voten zunächst Überraschungen und dann Ernüchterung über eine mögliche lang anhaltende Unsicherheit über die politischen Entwicklungen.
„Ungerührt von der so gestiegenen Volatilität zeigten die verschiedenen Kapitalmärkte eine positive Tendenz und spiegelten damit die stabile Entwicklung der Wirtschaft wieder, die gleichwohl hinter dem verbreiteten Hoffen auf Dynamik zurückblieb“, erläutert Dr. Carl-Heinrich Kehr, Principal und Investment-Experte bei Mercer Deutschland. Neben den zinsbedingt positiven Entwicklungen an den Anleihemärkten zeigten Aktien, Immobilien und Alternatives positive Renditen. Globale Aktien brachten 8,5 Prozent und europäische Staatsanleihen mit Laufzeit über 10 Jahre 6,9 Prozent Rendite.
Hervorzuheben sind die Emerging Markets, wo sowohl Anleihen (10,2 Prozent) als auch Aktien (14,9 Prozent) deutliche Zuwächse boten. Hochzins-Anleihen profitierten bei ihrer Jahresrendite von 14,8 Prozent davon, dass die Kreditausfälle geringer als befürchtet lagen. „Nach den schwierigen Erfahrungen in diesen Asset-Klassen in den Vorjahren machen diese Resultate den Nutzen einer breiten Diversifikation deutlich“, kommentiert Kehr. Relativ schwach schnitten wie im Vorjahr Hedge Fonds ab sowie mit 4,5 Prozent europäische Aktien, was im Zusammenhang mit dem Brexit-Votum und seinen Folgen für die Einschätzung der politischen Landschaft in Europa zu sehen ist.
Die Änderung in der Zusammensetzung des DAX 30 hat auch beim Pensionsvermögen nur einen vernachlässigbaren Effekt.
Trotz der ungünstigen Zinsentwicklung ist der Deckungsgrad im Jahr 2016 nur geringfügig gesunken. Während er im Vorjahr bei 65 Prozent lag, bewegt er sich nun bei 63 Prozent.
„Dabei muss berücksichtigt werden, dass zumindest in Deutschland keine Mindestdotierung vorgeschrieben ist. Da die Insolvenzsicherung über den Pensions-Sicherungs-Verein und nicht über eine zwingende Kapitaldeckung erfolgt, können die Unternehmen frei entscheiden, ob und in welchem Umfang sie Pensionsvermögen schaffen“, kommentiert Kehr. „Entsprechend findet sich im DAX auch fast das gesamte Spektrum von vollständiger Abdeckung bis hin zum Verzicht auf Pensionsvermögen.“
In UK wuchs die Deckungslücke bei den im FTSE 350 gelisteten Unternehmen weiter an. Sie stieg von £ 133 Mrd. zum 31. Januar 2015 auf £ 140 Mrd. zum 31. Januar 2017, hat sich aber zum 28. Februar 2017 wieder auf £ 137 Mrd. reduziert. Der Dotierungsgrad hat sich von 83 auf 84 Prozent erhöht.
Der geschätzte Dotierungsgrad von Pensionsplänen bei den S&P-1500-Unternehmen in den USA blieb im Zeitraum vom 31. Dezember 2015 bis zum 28. Februar 2017 relativ unverändert und betrug 82 Prozent, da die positive Entwicklung auf Aktienmärkten durch die Zinssatzsenkungen ausgeglichen wurde. Damit befindet sich die geschätzte Deckungslücke zum Anfang des Jahres 2017 stabil bei etwa $ 400 Mrd.
Die Finanzmärkte sind mit deutlich positiver Dynamik in das Jahr 2017 gestartet. „Während alle Welt über die politischen Unsicherheiten spricht, die, wie schon im Vorjahr, von einigen – zumindest für den Euro – schicksalhaften Wahlen geprägt sind, entwickeln sich die Unternehmensgewinne und damit die Märkte für Aktien und Unternehmensanleihen stetig aufwärts“, so Kehr. Als die wichtigsten Antriebskräfte werden die andauernd günstigen Kreditzinsen in Europa und die Aussichten auf steigende Investitionen der öffentlichen Hand in den USA gesehen. Beim zweiten Blick bis zur Ebene der europäischen Einzelstaaten offenbart sich die schnell steigende Kluft zwischen Deutschland einerseits und Frankreich und auch Italien andererseits. „Je näher die Wahlereignisse in diesem Jahr rücken, desto mehr Anleger werden in den Risk-Off-Modus wechseln“, ergänzt Kehr.
Da der Pensionsaufwand bereits zum Jahresanfang auf Basis der dann aktuellen Prämissen ermittelt wird, führt der Rückgang des Rechnungszinssatzes zum 31.12.2016 auch zu einem Anstieg des Dienstzeitaufwandes, also des planmäßigen Anstiegs der Verpflichtungen für aktive Arbeitnehmer. Während der Dienstzeitaufwand der DAX-Unternehmen 2016 bei 7,1 Mrd. Euro lag, ist für 2017 mit einem Anstieg auf etwa 7,8 Mrd. Euro zu rechnen.
Entlastung könnte mit einer differenzierten Bewertung von Pensionsverpflichtung und Aufwandsgrößen geschaffen werden. Ein Verfahren, das Mercer in Deutschland bereits vor drei Jahren in die Diskussion gebracht hat, wird mittlerweile von einigen Unternehmen angewandt: Bisher war es üblich, den durchschnittlichen Zinssatz, der für die Ermittlung der Verpflichtungswerte hergeleitet wird, auch für die Ermittlung der Aufwandsgrößen anzusetzen. Speziell beim Dienstzeitaufwand ist jedoch zu beachten, dass hier nur der Teilbestand der Aktiven betroffen ist. Um zu vermeiden, dass der Dienstzeitaufwand mit einem Zins ermittelt wird, der auch durch die kürzeren Laufzeiten von Verpflichtungen gegen Rentner bestimmt ist, ist es möglich, für die Ermittlung des Dienstzeitaufwandes einen abweichenden Rechnungszins zu verwenden.
Noch stärkere Entlastung könnte die Anwendung der kompletten Zinsstrukturkurve (an Stelle eines mittleren Abzinsungssatzes) bringen. Hierbei werden alle zukünftigen Zahlungsströme einzeln betrachtet und mit dem zur entsprechenden Restlaufzeit passenden Zinssatz bewertet. Bei diesem Ansatz fallen sowohl Dienstzeit- als auch Zinsaufwand geringer aus als beim klassischen Verfahren unter Anwendung eines einheitlichen Zinssatzes. „Während dieses Verfahren unter US GAAP akzeptiert wird, ist die Anerkennung unter IAS 19 weiterhin unklar“, so Hagemann.
Für den Mittelstand ist vor allem der Sinkflug des HGB-Rechnungszinses Grund zur Sorge. Im Jahr 2016 wurde die Herleitung des Zinssatzes geändert. Während er vorher als Durchschnitt über sieben Jahre ermittelt wurde, kommt nun ein 10-Jahres-Durchschnitt zum Tragen. Dadurch ist der Zins im Jahr 2016 einmalig sogar gestiegen, und zwar von 3,89 Prozent auf 4,01 Prozent. Ab 2017 wird aber auch der 10-Jahres-Durchschnittszins stetig sinken. Bleibt das Zinsniveau ab jetzt unverändert, ist für Ende 2017 mit einem Zins von 3,66 Prozent und Ende 2018 mit 3,17 Prozent zu rechnen.
Gerade bei der HGB-Bilanzierung gibt es aber wirksame Maßnahmen, die das Unternehmen selbst ergreifen kann. So können die Verpflichtungswerte verringert werden, indem Betriebsrentnern an Stelle der laufenden Rente eine einmalige Kapitalzahlung angeboten wird. Die Praxis zeigt hier Zustimmungsquoten von 30 bis 50 Prozent. Und da das deutsche Handelsrecht ein Passivierungswahlrecht für mittelbare Zusagen vorsieht, kann der Aufwand über einen Durchführungswegwechsel deutlich geglättet werden. Zinsschwankungen spielen dann keine große Rolle mehr.
Mit der aktuellen Zinsentwicklung stellt sich auch zunehmend die Frage nach dem steuerlichen Rechnungszins. Während Pensionsverpflichtungen im HGB-Abschluss Ende 2016 mit einem Zins von 4,01 Prozent abzuzinsen waren, sind für die Steuerbilanz weiterhin 6 Prozent maßgeblich. So kann es sein, dass ein Unternehmen wegen des Aufwandes aus der Entwicklung der Pensionsverpflichtungen einen handelsrechtlichen Verlust ausweist, in der Steuerbilanz wegen der beschränkten Anerkennung dieses Aufwandes dagegen einen Gewinn zeigen muss. Mittlerweile gibt es erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Diskrepanz.
Derzeit ist allerdings kein politischer Wille zur Änderung dieser Regelung erkennbar. Im Zusammenhang mit dem Entwurf des Betriebsrentenstärkungsgesetzes hat der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates empfohlen, eine Prüfbitte an die Bundesregierung zur Änderung des steuerlichen Zinssatzes zu beschließen. In die Stellungnahme des Bundesrates ist sie aber nicht eingeflossen.
Die vorliegende Analyse der Entwicklung von Pensionsverpflichtungen und Pensionsvermögen der DAX-Unternehmen im Jahr 2017 wurde auf Basis der Geschäftsberichte der DAX-Unternehmen erstellt.